Jonathan Banz, Nikolai von Rosen
Kunsthaltestelle LEIZA | 2024 | Mainz
Das Kunstprojekt für das Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz entfaltet seine Wirkung an der Schnittstelle des neuen Forschungsgebäudes mit dem öffentlichen Raum.
Der Kopf einer antiken Göttin liegt wie ein archäologischer Fund am Rand der viel befahrenen Rheinstraße. Alle vorbeifahrenden Passantinnen und Passanten werden von der ruhenden Göttin begrüßt und auf den hier neu entstandenen Museums- und Wissensstandort der Archäologie aufmerksam gemacht. Die Großform ist zugleich die neue Bushaltestelle, die von vielen Linien der Mainzer Mobilität angefahren wird. Man kann sich in das Gesicht hinein setzen, entspannt auf den Bus warten und findet Schutz vor starker Sonne oder Regen. Das Kunstprojekt bereichert den Stadtraum um ein großes bildhaftes Objekt. Zugleich geht die Skulptur in den Funktionszusammenhängen des öffentlichen Nahverkehrs auf. Die Grenze zwischen der Kunst als autonomer Daseinsform und den Funktionsansprüchen einer Bushaltestelle gehen fließend ineinander über.
Für das Kunstprojekt wurde der Kopf einer antiken Venus- Skulptur hochauflösend gescannt. Durch die Weiterverarbeitung dieser Daten konnte eine ca. zwanzigfach vergrösserte Abguss- Matrize erstellt und vor Ort in Beton abgegossen werden. Das Ergebnis zeigt den Abdruck dieses großen Kopfes als Negativform. Der Abdruck kann als ein Sinnbild für die Vergangenheit gelesen werden, die lange in die Zukunft hineinwirkt. Die Skulptur verweist damit auf die Funktionsweise des Leibniz-Zentrums für Archäologie als Ort der Forschung, an dem Vergangenheit und Zukunft immer neu ins Verhältnis gesetzt werden.
Es ist ein Wahrnehmungsphänomen, dass wir Negativformen auch als Positive sehen können. Das hängt von der Entfernung zum Objekt und der Frage der Darstellung ab. So sieht man das Kunstobjekt von nahem als Negativform, die sich nicht gleich entschlüsseln lässt. Je weiter wir weggehen, umso deutlicher wird es, dass es ein antiker Kopf ist, den wir sehen. Dieses Kippen von Negativ nach Positiv findet bei der Betrachtung durch ein Bildmedium unmittelbar statt. Wenn man an der Bushaltestelle vorbei fährt, wird man sie womöglich als das eine oder auch das andere wahrnehmen. Macht man aber ein Foto davon, wird der Kopf auch auf kurze Distanz als Positivbild erscheinen. Dadurch thematisiert das Kunstprojekt zugleich das Verhältnis von Erscheinung und Abbild. Nur wer vor Ort ist, kann die Bushaltestelle als das erleben, was sie ist: die Negativform eines großen Kopfes. Auf den Bildern wird sie immer als Positivform erscheinen. Und nicht nur das: sie wird sich auf bewegten Bildern – beispielsweise wenn aus dem Bus heraus gefilmt wird – in die entgegengesetzte Richtung mit drehen, als man erwartet. Die ruhende Göttin schaut nach uns.
Text von Banz von Rosen
Ludwig-Lindenschmit-Forum 1
55116 Mainz